Meike Winnemuth liebt Mutproben. Auch deshalb ist sie Journalistin geworden. Eine ihrer folgenreichsten Mutproben war, ein Jahr nur ein blaues Kleid zu tragen.
Ein Jahr lang ein einziges Kleid tragen? Jeden Tag? Das war die Herausforderung!
Für viele Frauen ist das unvorstellbar, ein Jahr ein einziges Kleid anzuziehen. Für Meike Winnemuth war es eine Offenbarung! Und ein lebensveränderndes Experiment. Das verriet sie mir in einem Interview, das ich im Mai 2012 für mein Interviewmagazin SAKIDA mit ihr führte.
Ich traf die Kolumnistin des Süddeutschen Magazins in ihrer Wohnung im quirligen Hamburger Viertel St. Georg – auf drei Tassen Tee.
Das Interview möchte ich mit Ihnen teilen, denn es ist mir heute noch, 5 Jahre später, in lebhafter Erinnerung. Auch deshalb, weil Winnemuths Erfahrung eindrucksvoll belegt, wie positiv sich ein bewusster Konsum auf das Leben auswirken kann – und freilich auch auf die eigenen Finanzen. Und jede Frau das auch für sich entdecken und nachmachen kann.
Meike Winnemuth, haben Sie Ihr blaues Kleid noch und ziehen Sie es manchmal an?
Winnemuth: Ich hatte ja drei davon. Eines ist in das Archiv der Designerin Katharina Hovman zurückgegangen. Eines habe ich auf der Webseite an die Fans vom „kleinen Blauen“ verlost. Das hat eine ganz bezaubernde 67-jährige Dame gewonnen, die mir dann gleich ein Foto von sich im „Kleinen Blauen“ geschickt hat.
Und eines habe ich behalten. Es hat sich aber bis jetzt nicht ergeben, dass ich es anziehe.
Ich bin ja gleich nach Abschluss des Projekts zu meiner Weltreise aufgebrochen – übrigens mit einer Garderobe, die mir ebenfalls Katharina Hovman geschneidert hat. Es sind neun Kleidungsstücke in blau und petrol, die multipel miteinander kombinierbar sind und aus dem gleichen stretchigen Stoff wie das Kleine Blaue, einer Funktionsfaser, die sich wunderbar in jedem Waschbecken waschen lässt.
Das passt alles in einen ziemlich kleinen Koffer. (Meike Winnemuth hat über ihre Reiseerlebnisse ebenfalls gebloggt: Vor mir die Welt.)
Hat sich durch dieses Jahr mit einem Kleid ihr Kleidungsstil geändert und hängen jetzt nur noch 10 Teile in Ihrem Schrank?
Winnemuth: Es sind schon ein paar mehr Stücke, gerade zum Kombinieren.
Mein Kleidungsstil hat sich aber gewaltig geändert. Ich habe gelernt, mit wie wenig man tatsächlich auskommen kann. Ich habe es sogar noch besser auf der Reise gelernt als während des Jahres mit dem „kleinen Blauen“.
Da war der Impetus auch eher: Wie kann man ein Kleidungsstück so verändern, das man jeden Tag anders aussieht?
Dabei ist mir klar geworden, dass man es wirklich gut aushält mit dem einen Ding, und dass man sich nicht langweilt oder sich beschränkt fühlt. Man kann sich als Frau verdammt gut ausdrücken mit einem Kleid, indem frau es abwandelt.
Im Reisejahr bin ich mit einem 20-Kilo-Koffer gereist und hatte mir vorgenommen – und auch zu einem guten Teil durchgehalten –, dass immer ein Teil rausfliegt, wenn ein neues dazukommt. Das habe ich auch als ein gutes Prinzip für meinen Kleiderschrank übernommen.
Das heißt auch, Sie geben jetzt weniger Geld für Kleidung aus?
Winnemuth: Deutlich weniger. Ich überlege mir bei jedem Ding zehnmal, ob ich es wirklich brauche und haben will oder ob das jetzt nur ein Lust- oder Frustkauf ist, so ein Samstagsmorgenskauf, bei dem man einfach, weil man nichts besseres zu tun hat, in die Stadt geht und aus Langeweile etwas kauft. Das habe ich mir wirklich abgewöhnt.
Diese Jeans hier trage ich zurzeit fast jeden Tag, das nervt mich überhaupt nicht. Ich kann damit überall hin. Gestern zum Beispiel war ich damit in Düsseldorf zu einem offiziellen Termin, dann ziehe ich dazu ein Jackett an, fertig.
Färbt dieser Minimalismus zusehends auf Ihr Leben ab?
Winnemuth: Ja! Das Kleid war wie ein Sandkorn in der Auster, ein Störfaktor, der viele Dinge in Gang gesetzt hat. Das war eigentlich ein lustig gemeintes Experiment für ein Jahr. Ich experimentiere ja öfter mal mit solchen Ideen und schaue, was die für Konsequenzen für mein Leben haben.
Nun sehen Sie mich hier in diesem Palast sitzen (Meike Winnemuth wohnte 2012 in einer 200 Quadratmeter Altbauwohnung), der mir überhaupt nicht mehr passt. Er ist mir zu groß geworden, es ist alles zu viel, zu voll. Passt gar nicht mehr zu der Person, die ich in diesen zwei Jahren geworden bin. Ich reise – auch im übertragenen Sinn – mit leichtem Gepäck und möchte das fortsetzen.
Das Wunderbare ist ja: Man verkleinert seinen Besitz und erweitert damit gleichzeitig seine Perspektive.
Heute Nachmittag zum Beispiel besichtige ich eine Eineinhalb-Zimmerwohnung, weil ich mich in so einer reduzierten Umgebung zurzeit wohler fühle. So sehr ich meine Wohnung liebe, die voll ist mit Erinnerungen – das ist ja auch der Vorteil, vielleicht der einzige, von Besitztümern, dass sie mit Emotionen aufgeladen sind –, aber zurzeit passt für mich was anderes besser, eine konzentriertere Art zu leben und zu wohnen. (Meike Winnemuth ist tatsächlich umgezogen. Hier die Homestory 🙂
Hat diese neue Sicht auf das Leben nicht auch etwas mit dem Älterwerden zu tun?
Winnemuth: Auf jeden Fall. Ich habe viele Jahre meines Leben lustig vor mich hin konsumiert. Jetzt, mit 52, komme ich in die Phase, in der ich alles auf den Prüfstand stelle. Mit 20 oder 30 will man noch alles haben. Erst später stellt man sich die Frage nach den wahren Bedürfnissen.
Dieses Mittelalter, in dem ich mich befinde, finde ich total toll. Jetzt beginnt eine bullshitfreie Zone. Ich muss das Spiel nicht mehr mitmachen, wenn es nicht mehr meins ist. Ich kann die Regeln selbst bestimmen.
Auch bin ich nicht mehr wie noch mit 40 von der Akzeptanz meiner Umgebung abhängig, sondern merke, dass ich mich mehr und mehr davon frei mache, was andere denken. Das ist eine Entwicklung, die eindeutig mit dem Alter zusammenhängt.
Schon die nächste Mutprobe in Planung?
Winnemuth: Noch nicht. Ich bin gerade damit beschäftigt, das Buch zur Reise zu schreiben. Das war eigentlich nicht geplant, aber es gab Anfragen von mehreren Verlagen. Ich habe zunächst gesagt, ist doch schon alles geschrieben. Kam dann aber zu dem Schluss: Da ist doch noch eine Menge übrig, was ich aufschreiben könnte.
Gerade die Frage: Was passiert mit einem, wenn man sich ein Jahr lang absolute Freiheit gönnt? Ich hatte den Luxus zu tun, was ich wollte, ich hatte das Geld dazu und die Zeit – es ist ja selten, dass beides zusammenkommt. Ich habe das auf meine Weise gefüllt und bin einfach meiner Neugier und meinen Gelüsten gefolgt.
Was ich danach mache, weiß ich nicht. Klar arbeite ich weiter, schreibe Reportagen, Kolumnen, verdiene Geld.
Aber die eigentliche Frage, über die ich nach diesem Jahr nachdenke: Wie will ich leben? Eine große Frage! Oft eine, die man sich im Alltag nicht stellt. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich mir erlauben kann, darüber mal nachzudenken.
Bilder: Die Fotos hat Meike Winnemuth aufgenommen und mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Meike Winnemuth ist studierte Germanistin und hat die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert. Sie arbeitete für RTL, schrieb und schreibt für den Stern, das SZ-Magazin, AMICA, Myself, GeoSaison und Architektur & Wohnen; sie war Redaktionsleiterin und stellvertretende Chefredakteurin bei Park Avenue und stellvertretende Chefredakteurin bei der Cosmopolitan. Meike Winnemuth hat 2 Bücher veröffentlicht.
Eine bewundernswerte Frau. Ich liebe ihre Bücher, ihren Wortwitz und ihre Lebensklugheit. Schönes Interview.
Liebe Meike Winnemuth,
ich finde Ihre ganzen Kommentare, Bemerkungen, Beobachtungen und Eindrück in Ihren Kolumnen sehr spannend, äußerst interessant und auch lustig. Ich warte schon auf die nächste Kolumne. Die Bücher werde ich mir jetzt auch aneignen.
Willi Thanninger