Es war nach der Hochzeit eines Freundes. Ich hängte mein Kleid in den Schrank und dachte: Das ist doch gar nicht mein Stil – blumiger Stoff, verspielter Schnitt! Ein Gedanke mit Folgen.
Eigentlich trage ich Hosen, Jackets, Etuikleider und Bleistiftröcke in klaren Farben (ich bin farblich der Sommertyp), einfach und schmal geschnitten, ohne Schnickschnack, aus Wolle, Baumwolle, Viskose, Seide und Tweed. Eigentlich.
Und dann dieses bunte Flatterteil in meiner Hand? Ich konnte es nicht fassen.
Mit skeptischem Blick durchforstete ich meinen Kleiderschrank und fand viele andere wild gemusterte Blusen, Röcke und mädchenhafte Kleider. Und auch noch viel zu viel davon. Einiges hatte ich jahrelang nicht getragen.
Wie war das denn passiert? In meiner Garderobe purzelten Trends und Was-Frauen-Eben-So-Anziehen-Teile durcheinander. Meine eigentliche Linie war dazwischen verschwunden.
Ich beschloss, das zu ändern. Und holte mir Unterstützung.
Weniger ist mehr … im Kleiderschrank
Ich verabredete mich mit einer Freundin und räumte mit ihr meinen Kleiderschrank aus. Alles kam auf den Prüfstand. Jedes Kleid, jedes Oberteil, alle Jacketts und Hosen. Nach 2 Stunden hatten wir meine Klamottage mehr als halbiert – auf das, was wirklich zu mir passte. Was für eine Befreiung, die kleinen Stapel in meinem Schrank zu sehen.
Kennen Sie dieses Gefühl?
Das Ausmisten ist jetzt etwa ein Jahr her. Seither habe ich nicht viel Neues gekauft. Denn mit dem Rückbesinnen auf meine eigentlichen Vorlieben veränderte ich auch mein Einkaufsverhalten.
Kein Kleid, kein Nichts. Glücklich durch Konsumverzicht
Ich hatte beschlossen: Ich kaufe nur noch Kleidung in meinen Lieblingstönen – (tauben)blau, kirsch, schiefer, weiß, braun – und das, worin ich mich wirklich wohlfühle. Im besten Fall glücklich. Und was ich brauche! Wenn zum Beispiel ein Teil alt geworden ist oder eine Feier ansteht.
Ein Stück rein, ein Stück raus aus dem Schrank. Diesen Tipp hatte ich irgendwo gelesen. Finde ich gut!
Dieser Konsumverzicht fühlt sich für mich gut an. Und um Billigware versuche ich mehr denn je einen Bogen zu machen.
Billige Kleidung kostet anderswo einen hohen Preis: Dumpinglöhne (v.a. für Frauen), Umweltvergiftung, versalzene Böden, massiver Pestizideinsatz. Es hat einen Grund, warum es in Deutschland kaum noch Stoff- und Textilfabriken gibt. Hier ein wenige Konsumverzicht zu üben, hilft allen.
Was steht mir? Stilfrage ändert Konsumverhalten
Mein Missempfinden gegenüber meiner stilistisch bunt durcheinander gewürfelten Garderobe und die Aufräumarbeiten hatten überraschend viele positive Konsequenzen:
Mein Kleider-Ausgaben-Budget schrumpfte deutlich, im Schrank war mehr Luft, die Was-Ziehe-Ich-Heute-An-Frage verlor an Bedeutung und die meisten Modeauslagen und -angebote interessierten mich nicht mehr so richtig. Konsumverzicht light! Es geht aber auch heftiger.
Die verrückte Mutprobe der Meike Winnemuth: Ein Jahr lang nur ein Kleid!
Die bekannte und beliebte Journalistin Meike Winnemuth hat die Idee, sich bei der Garderobe einzuschränken, auf die Spitze getrieben. Leben ohne Kleider-Konsum. Sie trug ein Jahr lang nur ein blaues Kleid. Konsumverzicht at it’s best. Mit ungeahnten Folgen.
Meike Winnemuth kombinierte das „kleine Blaue“, wie sie es nannte, jeden Tag anders. Es blieb aber immer das gleiche blaue Kleid (nicht dasselbe!). Interessanterweise fiel das kaum jemandem auf.
Weniger ist mehr – Offenbarung statt Entsagung
Für Winnemuth war das Jahr mit dem einen Kleid eine Offenbarung. Sie merkte, wie wenig Kleidung sie für sich eigentlich braucht. Und dass sich eine Frau sehr gut mit nur wenigen Kleidungsstücken ausdrücken kann. Sie mistete wie Natascha ihren Kleiderschrank aus und ihre Wohnung gleich mit.
Winnemuth veränderte auch ihren Kleidungsstil: minimalistischer, fokussierter auf Farben und Schnitte. Das blaue Kleid sei ein Störfaktor gewesen, der viele Dinge in Gang gesetzt habe, erzählte sie mir 2012. Das Interview mit ihr können Sie hier nochmal nachlesen: Meike Winnemuth und ihre verrückte Mutprobe: ein Jahr lang ein blaues Kleid
Konsumverzicht mit Gewinn – Minimalismus macht glücklich
Konsumzwängen zu entkommen durch einen minimalistischen Lebensstil, haben schon viele ausprobiert. Es gibt dazu etliche Bücher und Blogs mit Selbstversuchen. Ich kann dem viel abgewinnen, auch wenn ich Luxus liebe und finde, dass frau schon mal auch die Kohle einfach so raushauen kann. Als Lebensstil aber ist das eher töricht.
Bei der bewussten Entscheidung, wenig oder eine Zeit lang keine Kleidung zu kaufen, geht es auch nicht um Askese. Also vielleicht nur noch funktionelle Kleidung zu tragen und den Konsumverzicht als minimalistisches Daseinsmotto zu zelebrieren. Das wäre in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell Blödsinn, weil es auf dem Austausch von Gütern und Diensten gegen Geld beruht.
Worum geht es dann? Sich auf das zu konzentrieren, was einem guttut, lange zufrieden macht und nachhaltig hergestellt ist, also ohne Umwelt und Menschen auszubeuten. Oder auch einfach mal nur Spaß bringt.
Das eröffnet ganz neue persönliche und auch finanzielle Freiräume. Weil Sie beim Konsumverzicht natürlich Geld im Alltag sparen. Und weil die Konzentration auf Wesentliches einen immer verändert. Auch wenn der Anstoß „nur“ Kleidung ist.
Jedes 5. Kleidungsstück in Deutschland wird so gut wie nie getragen. Darauf wies 2015 Greenpeace hin.
Wie ist das bei Ihnen? Auch so viel nutzloses Zeugs im Schrank?
8 Folgen bewussten Konsumverzichts bei Kleidung:
– Sie fühlen sich freier.
– Es ist mehr Zeit da, weil Sie nicht so oft shoppen und daran denken.
– Sie haben mehr Geld für anderes, weil Sie es nicht für Kleidung ausgeben.
– Sie vergeuden kaum Zeit sich zu fragen, was Sie anziehen sollen, weil alles im besten Fall zusammenpasst.
– Es packt Sie seltener der Jagdtrieb, wenn Sie durch Einkaufsstraßen gehen.
– Reklame für Kleidung übersehen Sie nach einer Weile glatt.
– Sie fangen an, in Ihrem Leben auszumisten.
– Sie schützen Umwelt und Mensch vor Ausbeutung.
Selbst Modestar Vivienne Westwood sagt: Kaufen Sie weniger!
Es scheint ein Paradox! Ausgerechnet eine der größten und einflussreichsten Modeschöpferinnen unsere Zeit, Vivienne Westwood, setzt sich dafür ein, dass weniger Kleidung gekauft wird. Sie kritisiert ihre Branche dafür, dass die immer mehr zur Wegwerfindustrie verkommt.
Deshalb verbreitet sie in Interviews immer wieder diese eine, ihr wichtige, Botschaft:
„Buy less, choose well, make it last“ – Kaufe weniger, wähle sorgfältig aus, sorge dafür, dass es hält.
Warum also nicht mal ein Viertel Jahr Trends Trends sein lassen und sich ein zumindest ein wenig in Konsumverzicht üben? Mal ein halbes Jahr keine Kleidung kaufen – bis freilich auf den Ersatz der Hose des Steppkes? Und sehen, was passiert, was sich verändert. Persönlich wie finanziell.
Noch mehr thematisch Anregendes
+ Elizabeth L. Cline: Overdressed. The shockingly high cost of cheap fashion (2012)
+ Anuschka Rees: Das Kleiderschrank Projekt (2017)
+ Die unglaubliche Macht des Nichtkaufens – ein sehr inspirierender Artikel von Oliver
Foto: Winnemuth: privat
Schönes Interview von euch beiden, macht Lust auf’s kopieren. Bei mir wären es eher weniger Gadgets (nicht gleich das neue iPad/iPhone/ProBook…).
okay, dann also eher eine Technik-Diät 🙂
Ich bin sehr glücklich, Ihre Seite gefunden zu haben super ?? macht weiter so ?????
Guten Morgen! Vielen Dank für diesen hervorragenden Artikel. Ich mag Deine Webseite!
Super Blog 🙂
So etwas… Vielen Dank
Schönes Experiment. Aber ein Jahr ohne… Das schaffe ich nicht 😀
Och, ein halbes Jahr bringt auch schon neue Erkenntnisse 🙂