Umfrage zu Männlichkeit: Für junge Männer zählt Tradition, sie sind dominant und gewaltbereit
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„Der Mann geht arbeiten und die Frau kümmert sich um das Kind. Das ist die Aufgabe, die beide Geschlechter zu erfüllen haben.“
Diese Aussage stammt nicht aus einem Buch aus dem 17. Jahrhundert oder von 1960, als die Geschlechterhierarchie noch gesetzlich verankert war: der Ehe-Mann als Bestimmer, die Ehe-Frau als rechtlose Dienerin, von Gleichberechtigung keine Spur. Aber die Umfrage stammt von heute. Aufgeschrieben von einem jungen Mann um die 30. Gleichberechtigung für Frau und Mann und in der Paarbeziehung? Faire Chancen für beide? Wahlfreiheit? Keine Spur. Dafür ein tradiertes Rollenbild, das beide einengt. 2023.
Was ist da los?
Heißt es nicht immer: Frauen seien längst gleichberechtigt, unabhängig, könnten frei entscheiden, wie sie leben möchten? Der Satz des jungen Mannes belegt das Gegenteil.
Und es kommt noch heftiger.
Plan International hat 1.000 Männer und 1.000 Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren zum Thema Männlichkeit im März 2023 online befragt. Plan ist dabei kein Forschungsinstitut. Sie kennen Plan International womöglich von Spendenaufrufen für Mädchen und Jungen in Entwicklungsländern. Besonders Mädchen stehen im Fokus von Plan, um ihre Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu verbessern. Plan nennt sich selbst eine Organisation zur humanitären Hilfe. Für Plan ist es also folgerichtig, sich mit dem sozialen Konstrukt „Männlichkeit“ zu beschäftigen und der Gleichberechtigung von Frauen.
Titel der Umfrage: Spannungsfeld Männlichkeit. So ticken junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren in Deutschland.
Plan will damit nach eigener Angabe nicht einzelne Männer kritisieren. Die Organisation möchte untersuchen, welche Rollen Männer für sich sehen, welche Handlungsmuster und Eigenschaften sich daraus ergeben und welche Folgen das hat – für die Männer, die jungen Frauen und die Gesellschaft.
Die Publikation hat 28 Seiten und die darin enthaltenen Ergebnisse sind teils erschreckend.
Die Ergebnisse zeichnen ein Bild von jungen Männern, die im Geist der 50er Jahre stecken geblieben und sehr weit weg von der Gleichberechtigung von Frau und Mann sind. Die sich die Hausfrauen-Ehe wünschen, Entscheidungen am liebsten selber treffen, die keine aktiven Väter sein wollen, die Gewalt als legitimes Mittel in einer Partnerschaft sehen, die abhängige Frauen wünschen und sich von Frauen aufgefordert fühlen, sie anzumachen und anzupöbeln. Dieses Denken ist toxisch.
In einer Beziehung zu einer Frau geht über die Hälfte der befragten Männer davon aus, dass ihre Rolle die des Alleinverdieners ist, und seine Partnerin die Rolle als Hausfrau und Mutter annimmt. Mit allen Konsequenzen: Zurückstecken beruflicher Ambitionen, der Mann hat das letzte Wort bei Entscheidungen. Und weil er das Geld nach Hause bringt, bestimmt er auch, was damit gemacht wird. Elternzeit für mehrere Wochen wird mehrheitlich abgelehnt. Das ist keine Partnerschaft.
Die folgende Grafik zeigt die Größenverteilung der Antworten:
Wirklich erschreckend ist: Jeder dritte junge Mann in der Umfrage heißt Gewalt gegen seine Partnerin gut. Und wendete auch welche an, um ihr Respekt einzuflößen. Gewalt, damit sie ihn respektiert. Eine Spielart toxischer Beziehungen.
Die Aussagen zur Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen werden von den Antworten auf Fragen zum Umgang mit Gefühlen untermauert:
51 % sind überzeugt, sie seien schwach und angreifbar, wenn sie Gefühle zeigten.
63 % bejahten die Aussage, dass sie sich mit anderen messen und anstrengen, um unter den Besten zu sein.
63 % fühlen sich manchmal traurig, einsam oder isoliert.
Ein großer Teil dieser jungen Männer sperrt sich also emotional selber ein und leidet offensichtlich darunter.
In den Antworten scheint durch, was andere Studien bereits aufgeworfen haben: Männer brauchen ein neues Selbstbild, das ihnen, den Frauen und der Gesellschaft guttut.
Nur reden sie nicht darüber, debattieren nicht miteinander und mit der Gesellschaft. Oder nur selten. Zu selten für eine gesellschaftliche Bewegung der Männer für eine andere Männlichkeit – mit Gefühlen, Empathie, aktiver Vaterschaft, Partnerschaften auf Augenhöhe, Eintreten für die Rechte von Frauen, Ablehnung jeglicher Gewalt, Toleranz gegenüber anderen. Und gegenseitigem Verständnis, auch mal kindische oder verrückte Sachen zu machen, einfach aus Spaß.
Die alten Männlichkeitsbilder, geprägt von Kriegsgewalt, Dominanz und Gewalt gegenüber Frauen, Härte gegen sich selbst und Andere, willkürlicher Machtanspruch und herrisches Verhalten haben ausgedient.
Die Mehrheit der jungen Frauen der Umfrage wollen so ein Rollenbild nicht hinnehmen und auf Hausfrau und Mutter-Dasein reduziert werden. Sie wollen gleichberechtigt leben, gleiche Chancen haben, diskriminierungsfrei und ohne Sexismus leben, mit Männern, die sich um sich, die Familie und die Gesellschaft kümmern, die Gefühle zulassen und teilen.
Ein Teil der jungen Männer ist offensichtlich schon auf diesem Pfad und hat angefangen, die toxische Männlichkeit der frühen Jahrhunderte abzulegen. Das belegt zum einen die Auswertung. Zum anderen die schriftlichen Antworten der befragten Frauen.
Hier eine Auswahl:
Ich habe hier im Blog schon oft geschrieben, wie unterschiedlich Männer und Frauen wahrgenommen und behandelt werden in Gesellschaft und Partnerschaft. Und wie stereotype Rollenbilder und -muster Frauen behindern, sie weiterhin entmündigen, bevormunden und ihnen hohe Vermögensschäden zufügen.
Die aktuelle Umfrage von Plan International unter jungen Männer belegt:
Viele Männer der jungen Generation bis 35 Jahre denken und handeln immer noch so wie die Männer nach den Kriegen: Sie wollen in der Beziehung bestimmen, finanziell sagen, wo es langgeht. Die Frauen sollen Haus und Kinder machen, den Mund halten und – wenn es Streit gibt – darf auch mal zugelangt werden, damit die Frau weiß, wer das Sagen hat. Gleichberechtigung für Mann und Frau? Fehlanzeige.
Respekt erwächst aus Achtung, nicht aus Gewalt und Angst. Findet ein Mann, Gewalt sei ein legitimes Mittel, seine Interessen durchzusetzen, ist er schwach. Also das Gegenteil von dem, was solche Männer beabsichtigen.
Die Journalistin Almut Schnerring, die mit Autor Sascha Verlan den Blog und Instagram-Kanal @rosahellblaufalle betreibt (und ein gleichnamiges Buch verfasst haben), fragte auf Instagram: Wie lässt sich eine solche Haltung ändern?
Schnerring gibt 2 Antworten. Ich will sie hier zitieren, weil ich die reflektierte Aufklärungsarbeit von #rosahellblaufalle sehr schätze:
Die Frage ist ja immer bei Umfragen und Studien: Welche Schlüsse ziehen wir aus den Ergebnissen oder Meinungsbildern?
Das ist freilich persönliche Sache jeder Frau, wie sie das Verhalten und die Einstellungen ihre künftigen Lieblingsmenschen empfindet und einschätzt.
Ich lese aus den Umfrageergebnissen das heraus:
Die finanzielle Eigenständigkeit für einen Mann aufzugeben, scheint mir grundsätzlich keine Option für Frauen zu sein, die ein selbstbestimmtes Leben führen möchten. Selbstbestimmtheit ist der Schlüssel zu einem zufriedenen, erwachsenen Leben. Schon bei den ersten Dates achtsam zu sein, erspart schlimmen Liebeskummer und schützt vor Gewalt.
Ich trete grundsätzlich dafür ein, dass Frauen und Männer Wahlfreiheit im Leben haben. Gerade in ihren Partnerschaften.
Wenn Sie sich entscheiden, für die Familie Ihren Beruf und damit Ihre finanzielle Eigenständigkeit aufzugeben, achten Sie bitte darauf:
– langfristig abgesichert und
– bei allen finanziellen Belangen einbezogen zu werden.
– Eine eigene, und selbst kontrollierten Altersvorsorge aufzubauen,
– großzügige Unterhaltsregelung zu vereinbaren, ausgestaltet in einem Ehevertrag,
– mit Zugriff auf alle Familienkonten und Vermögenswerte und
– Transparenz in allen finanziellen Angelegenheiten.
Das kann sehr gut funktionieren, setzt gegenseitige Wertschätzung, Respekt und wirkliche Gleichberechtigung voraus.
Das ist es, was ich unter gleichberechtigter Partnerschaft oder Ehe verstehe: Teamwork, Eintreten füreinander, verbindliche Absprachen treffen, dass es beiden gut geht und keine Partner’in ausgenutzt wird.
Die ließ nicht lange auf sich warten. Die Rede ist von „kleine Umfrage„, nicht „repräsentativ„, kein Berücksichtigen soziodemographischer Merkmale wie die Herkunft als möglicher Migrationshintergrund. Die Koordination und Analyse erfolgte allerdings über ein Marktforschungsinstitut namens transpekte, die Stichprobengröße ist als repräsentativ anerkannt und im Bericht werden andere Untersuchungen zitiert.
Selbst, wenn die Kritik berechtigt wäre, zeigen die Antworten ein Meinungsbild von 2.000 jungen Menschen. Das ist eine statisch relevante Größe. Damit haben die Ergebnisse Relevanz. Und um die geht es.
Wenn diese Umfrage es schafft, eine Debatte um Männlichkeit und Gleichberechtigung zu eröffnen, und Männer dazu zu bewegen, über Ihre Identität und Rolle als Mann in unserer Gesellschaft nachzudenken, mit allen Konsequenzen, dann hat die Befragung alles erreicht. Nämlich Bewegung in stereotypes Geschlechterrollen-Denken zu bringen, das offensichtlich ja noch extrem tief verwurzelt ist in den Köpfen.
Für Debatten brauchen wir Auslöser, damit sie in Schwung kommen. Die Männer sind zu leise, gerade die neuen, achtsamen, feministischen. Wir brauchen sie als Vorbilder, die sich auch zu Wort melden und zeigen: Männlichkeit kann leicht, gewaltfrei, emotional, partnerschaftlich und als gleichberechtigtes Team mit Frauen und anderen Geschlechtern sein.
Studie Plan International: Spannungsfeld Männlichkeit, 2023
Deutschlandfunk Nova, Themenseite: Was ist Männlichkeit heute
Frau & Geld-Podcast: Finanzielle Gleichberechtigung, mit der Professorin a.D. Heide Pfarr
Ohne den ganzen Text gelesen zu haben:
man kann sich auch Debatten darüber ersparen und einfach die natürliche Selektion walten lassen. Wenn Frau sich bei der Partnerwahl auf niemanden mit so einer Meinung einlässt, kann dieses „Gedankengut“ auch nicht weiter getragen werden / wird es schon etwas bei diesen Männern ändern. Soll im Umkehrschluss jetzt natürlich nicht heißen, dass Frau selbst schuld ist, wenn sie sich an solch einen Mann bindet und dann auch in der Küche zu stehen hat. Aber ist genauso mit dem Gendern. Kann man machen, kann man elendig lang drüber diskutieren, oder man ignoriert es einfach.
Lieber Nico,
das wäre genau das, was das Beste wäre, wenn die Frauen diese Männer einfach links liegen ließen und sich die respektvollen suchen, die sie achten. Leider zeigen viele dieser dominanten Männer ihr wahres Gesicht erst, wenn die Beziehung enger geworden ist, wenn die beiden womöglich schon zusammenwohnen und ein Kind unterwegs ist. Dann steht vor der Trennung eine größere Hürde. Noch dazu, weil bis heute Frauen größtenteils immer noch so sozialisiert werden, anderen zu gefallen (schau dir Insta an, das Netz ist voll davon), nur wenig Widerrede zu geben, sonst wirken sie unsympathisch, nicht fordernd aufzutreten, zurückzustecken. Das abzulegen erfordert Menschen, die dir das spiegeln, damit du es siehst und dann kostet es Energie, diese persönliche Prägung zu verändern. Hin zu mehr Selbstwert und Eigenachtung.
Womit wir bei deiner These sind: Die Männer kommen damit durch, weil Mädchen bis heute dazu erzogen werden, stillzuhalten und nicht für sich einzutreten.
Hat auch was mit Bildungschancen und Umfeld zu tun. Ein weites Feld …
Deshalb mache ich das ja hier auf dem Blog: Um zu zeigen: Das, was manche als „normal“ ansehen, ist menschenverachtend und das Gegenteil von dem, wie eine diskriminierungsfreie Gesellschaft aussieht.
Komisch ist nur das die Frauenwelt genau diese Art von männer sich aussucht. So wie es sich in der Praxis zeigt, ist das ein Model wo vielen Frauen zusagt.
Hm, vielleicht finden es einige Frauen erstrebenswert, dominiert zu werden. Mag sein. Jeder das Seine.
Aber vielen? Eher nicht. Eine „Frauenwelt“ kenne ich leider nicht. Wär schön, sich dort mal umzusehen.
Bisher gibt es v.a. eine Männerwelt. 🙂