Der US-amerikanische Philosoph Michael Sandel wird in den USA gefeiert wie ein Rockstar. Zu Recht. Der Harvard-Professor versteht es auf unterhaltsame Art, uns an unsere Menschlichkeit zu erinnern.
Was man heute alles kaufen kann!
Leihmütter für das Austragen eines Kindes zu bezahlen, sind längst kein Aufreger mehr. Auch menschliche Organe werden für Tausende von Dollar gehandelt.
In US-Gefängnissen sind Zellen-Upgrades normal, es lässt sich der erste Platz in einer Schlange kaufen, genauso wie das Recht auf das Verschmutzen der Luft mit einer Tonne Kohlenstoff und eine neue Nase. Blut kostet Geld, tödlich Erkrankte finden für ihre Lebensversicherung Abnehmer, Schulmaterial und Essen wird durch Firmen gesponsert. Sogar Namensrechte für große Sportarenen haben heute einen Preis.
Und, was denken Sie? Ist doch normal? Oder, halt. Klingt komisch?
Michael Sandel jedenfalls wundert sich über diese „neuen Märkte“, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind.
Wo endet die Käuflichkeit, fragt deshalb Michael Sandel im Buch
Der Harvard-Professor will, dass wir die neue Käuflichkeit nicht einfach so als gegeben hinnehmen, als weitgehend selbstverständlich. Und uns ihr ergeben. Vieles, das bis vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar war, kann jetzt für Geld geordert werden. Wer das meiste Geld hat und gibt, erhält das Gut.
Ein besonders erschütterndes Beispiel dieser alles-ist-käuflich-Haltung: In Afrika zahlen Europäer bis zu 150.000 Dollar, nur um bedrohte Arten wie Nashörner zu schießen.
Michael Sandel hat sich über diese Beobachtungen Gedanken gemacht und ein sehr bemerkenswertes Buch darüber geschrieben.
Michael Sandel wirft darin sachlich zwei einfache Fragen auf: Darf alles käuflich sein? Und was macht das mit uns als Gesellschaft?
Sandel beschäftigt sich damit, ob die Kommerzialisierung unseres Lebens wirklich wünschenswert ist. Oder ob die Folgen nicht eher verheerend sind, weil es unser Menschsein entleert, unsere Solidarität, Hilfsbereitschaft, Aufopferung für andere. Weil unsere Beziehung zu Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen marktförmig werden, da sie ja eine Art Preis erhalten.
Wann beschädigen wir uns als Menschen?
Wollen wir in so einer käuflichen Welt leben? Und überhaupt: Wann hat das eigentlich angefangen, dass alles einen Preis zu haben scheint, und wir das auch noch für normal und nicht bedenklich halten?
Michael Sandel bringt den gesellschaftlichen Sprengstoff geradewegs auf den Punkt, reckt dabei nie wie ein allmächtiger Mahner oder moralisierender Philosoph den Zeigefinger in der Luft.
Zitat Sandel:
„Wir brauchen eine öffentliche Debatte, was es heißt, die Märkte in ihre Schranken zu weisen. […] Denn manche Dinge werden beschädigt oder herabgesetzt, wenn man sie in Waren verwandelt.“
Michael Sandel müssen Sie lesen!
Das Buch ist eine unbedingte Leseempfehlung. Sandel schreibt anschaulich, klar, ohne Schachtelsätze, wie Wissenschaftler das oft tun.
Er hat mich zum Nachdenken gebracht. Michael Sandel hat recht, wenn er uns auffordert, kritisch dieser Monetarisierung unseres Daseins gegenüberzustehen. Erste Gegenbewegungen bilden sich ja schon. So würde ich zumindest die „neue“ Sharing-Ökonomie sehen, wo sich Menschen Autos teilen. Sich untereinander Dinge leihen, Zeit tauschen oder handwerkliches Können.
Der Philosoph Sandel schärft den Blick für den Irrsinn und die fortschreitenden Ungerechtigkeiten unserer Zeit und was Geld mit uns schon gemacht hat. Mich erinnert das sehr an den Zauberlehrling in Goethes Faust: Die Geister, die er rief …
Michael Sandel:
Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes
aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter
Ullstein-Verlag
300 Seiten
Preis: € 10,99.
Weitere Rezensionen:
+ auf den Nachdenkseiten
+ bei Deutschlandradio Kultur
Wenn Sie Michael Sandels Thesen ansprechen, möchte ich Ihnen auch das Buch des jungen, deutschen Ökonomen Stefan Mekiffer empfehlen. Er hat eines der bedeutendsten Ökonomie-Bücher der Jetztzeit geschrieben:
Dazu passt dieser Buchtipp:
Stefan Mekiffer: Genug Geld für alle
Transparenzhinweis:
Das Buch habe ich selbst gekauft. In meinen Buchtipps bespreche ich nur Bücher, deren Inhalt ich für relevant und nützlich halte.
Foto @Justin Ide/Harvard News Office. Das Foto von Michael Sandel stellte die Harvard University zur Verfügung. Sandel spricht im September 2008 vor Studenten zum Thema Gerechtigkeit.
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