Finanzbücher gibt es massig. Darunter sind wirklich viele gute. Nur: Die meisten eigenen sich nicht, um ganz unten auf der Treppe der Finanzbildung zu starten. Sie starten mittendrin. Wenig hilfreich für Finanz-Neulinge. Albert Warnecke schließt diese Lücke – mit seinem Alter Ego Finanzwesir.
Warnecke bloggt seit 2014 für „Leute, die ihr Geld selbst anlegen“ wollen – ohne Berater und Vertreter. Sein Steckenpferd sind ETFs.
Motiv hinter seinem Engagement: Andere zu ermuntern, sich um ihr Geld zu kümmern, sich in Gelddingen schlau zu machen und eigenverantwortlich Vermögen aufzubauen.
Er gibt seine Erfahrungen weiter, seine Erkenntnisse aber auch Anlage- wie Denkfehler. Und er stellt die richtigen Fragen.
Warnecke hat sich so innerhalb von 3 Jahren von einem unbekannten Finanzblogger zu einem gefragten Gesprächsgast hochgeschrieben. Er wird zu Anlegermessen eingeladen und schreibt regelmäßig für ZEIT Online. Damit zieht er die Massen an, meist sind diese männlich.
Schon allein mit diesem Namen Finanzwesir ist Warnecke der Gegenentwurf zu Anzug tragenden Beratern, die einem das Hirn vernebeln mit ihrem ernsthaft intonierten Denglisch. Er bloggt und redet Klartext:
„Nicht die großen Brocken verhindern den Weg in die finanzielle Freiheit, sondern die kleinen Nadelstiche lassen uns ausbluten.“
Warnecke, Ingenieur mit Vergangenheit bei Yahoo Europe, ist 51 Jahre alt, Vater dreier Töchter und seit 20 Jahren selbst an der Börse aktiv. Hier auf der Invest 2017, Messe Stuttgart.
Weil ihn viele Blog-Leser gebeten hatten, ein Buch zu schreiben, hat er es getan. Deshalb gibt es seit diesem Jahr im Verlag tredition aus Hamburg
Der Finanzwesir. Was Sie wirklich über Vermögensaufbau wissen müssen
Buch für Finanzneulinge
430 Seiten. Klingt viel, ist viel, aber es liest sich lässig weg. Vor allem deshalb, weil der Autor viele lebhafte Vergleiche einbaut. Ein Buddy-Buch in gut gewählter Schriftgröße.
Das Buch beginnt mit prinzipiellen Überlegungen zum Umgang mit Geld. Es vertieft sich in Anlagegrundsätze und -strategien, geht ausführlich auf verschiedene Arten der Geldanlage ein und macht sich Gedanken über passives oder aktives Investieren. Am Ende wartet es mit einer klaren Anleitung zum Vermögensaufbau mit ETFs auf.
Ein ordentliches Gesamtpaket. Gewürzt mit Warneckes Lebenserfahrung und anschaulichen Anekdoten aus seinem Anlegerleben und -denken.
Wer seinen Blog kennt, wird allerdings wohl wenig Neues im Buch erfahren.
„6 weise Lehren“ aus dem Finanzwesir
Diese Erkenntnisse aus dem Buch haben mich besonders beschäftigt. Ich nenne sie – nach Wesirart – die 6 weisen Lehren:
1. Gelder und Anlagen als Einheit ansehen
Das sei ein Fehler, den Anfänger typischerweise machten: Geld und Geldanlage nicht als Einheit zu betrachten, sondern getrennt – etwa, wie verschiedene Töpfe auf dem Herd: Hier das Tagesgeldkonto, da der Dispo, dort ein Aktienfonds oder eine Rentenversicherung. Das sei wenig sinnvoll.
Vielmehr gehe es darum: angelegtes Geld in Aktien, ETF etc. und zurückgelegtes Geld wie Sparbuch und Tagesgeld als Einheit zu sehen. Und dann ganz bewusst in zwei Teile zu splitten: in einen „risikoarmen Teil“ und einen „risikobehafteten Teil“. Nicht nur real, sondern auch gedanklich. Das erleichtere den realistischen Vermögensaufbau mit der jeweils persönlich passenden Gewichtung beider Teile. (Darauf geht Albert Warnecke im Interview weiter unten näher ein.)
2. Vermeintlich Bekanntes hartnäckig hinterfragen
Wer sich dem Geld und der Geldanlage zuwendet, stolpert sofort über Begriffe wie Zins, Ausgabeaufschlag, Einlagensicherungsfonds, Risiko und Rendite. Diese Dinge lassen sich fix mit wenigen Worten und Sätzen definieren.
Aber. Und dieses „Aber“ ist entscheidend: Ist damit alles gesagt, was wirklich wichtig ist zu wissen?
Nein, ist es nicht. Warnecke dekliniert das zum Beispiel mit der Rendite durch – mit einem kleinen Rendite-Einmaleins.
Was er damit ausdrücken will?
Sehen Sie genau hin! Hinterfragen Sie das, was man Ihnen als „das ist eben so“ verkauft, vernebelt mit Bankersprech. Hinterfragen! Dann haut Sie niemand über’s Ohr und Sie verstehen Finanzen wirklich.
Sein Rendite-Einmaleins macht richtig Spaß. Es ist ähnlich der Rendite-Serie auf dem Finanzwesir-Blog.
3. Die unterschätzte Anlageklasse
Meine liebste Lehre. Einige der üblichen Anlageklassen kennen Sie sicherlich: Aktien, Immobilien, Gold, Anleihen, Rohstoffe. Warnecke stellt eine Anlageklasse vorrangig dazu: die eigene Arbeitskraft. Also das, was Betriebswirte abfällig Humankapital nennen.
Warnecke appelliert an seine Leser’innen, der eigenen Arbeitskraft einen hohen Stellenwert einzuräumen.
Besser, Sie denken über Ihre beruflichen Perspektiven – und damit Einkommensperspektiven – nach, als sich darüber zu sorgen, wo Sie die besten Zinsen erhalten. Denn, so das richtige Argument Warneckes: Mit der eigenen Arbeitskraft lassen sich viel größere Geldmengen erzielen als eine Geldanlage einbringt.
So fragt der Finanzwesir:
„Arbeiten Sie, um zu konsumieren oder für Ihre finanzielle Freiheit?“
4. Kenne dein Vermögen!
Kennen wir es? Ja, klar, das was wir besitzen ist Vermögen. Also Auto, Haus, Boot, Sparbuch, Aktien, womöglich Kunstgegenstände? Wirklich so klar? Nicht ganz. Warnecke zieht hier eine Linie und meint:
„Nur die Dinge, die die mehr einbringen, als sie kosten, sind Vermögenswerte.“
Ein Vermögenswert ist also eine Quelle, aus der Geld auf das eigene Konto fließt – als eine Art Einkommen.
Eine kluge Betrachtung. Sie ist zwar sperrig und widerspricht der betriebswirtschaftlichen Definition, wonach alle Gegenstände, die sich zu Geld machen lassen, Vermögensgegenstände sind und am Jahresende in der Bilanz zu stehen haben.
Aber Warneckes Buch ist ja nicht für Betriebswirte gedacht, sondern für Privatanleger. Und ihnen verlangt er beim Thema Geldanlage neues Denken ab.
Finanzfachleuten wie Warnecke geht es bei der Geldanlage ja vor allem um eines: Einkommensströme aufbauen, von denen frau (und mann) leben kann. Ob schon frühzeitig zu Erwerbszeiten oder erst als Rentnerin.
Eine selbstgenutzte Immobilie ist in dieser Denke folglich kein Vermögen(swert), das zu mehr monatlichem Einkommen führt. Denn es muss ständig saniert werden und wirft keine Miete als Einkommen ab.
Erst durch Vermietung wird eine Immobilie zum Vermögenswert bzw. im Fall des Verkaufs. Ansonsten erzeugt sie Kosten. (Und nein, die gesparte Miete durch Selbstnutzung ist kein EinkommensZUfluss, sondern vermindert lediglich die eigenen Ausgaben.)
Alle Dinge, die mehr kosten, als sie einbringen, sind erst einmal … Verbindlichkeiten.
Es lohnt sich sehr, über diese Abgrenzung nachzudenken. Sie zwingt einen dazu, darüber nachzudenken, wie und wovon frau im Alter leben will.
5. Nicht ins Klein Klein verfallen
Lassen Sie die Jagd nach Zinsen für Tages- oder Festgeld oder dem vermeintlich besten Aktien-Händer (Broker) sein, und beschäftigen Sie sich lieber mit dem, was Ihnen im Leben wichtig ist; wie Sie leben wollen; welcher Teil Ihres Geldes risikoreicher angelegt wird und wie Sie das Geld anlegen. Und haben Sie Zeit für sich selbst und Ihre Familie und Freunde.
Die Weisheit des Finanzwesirs. Aus diesem Rat, der sich zwischen den Zeilen durch das gesamte Buch zieht, spricht Warneckes Lebenserfahrung.
Und die Überzeugung, der auch ich viel abgewinne: Keep it simple with your money! Halten Sie es einfach mit Ihrem Geld.
Dazu passt Warneckes Investitionsstrategie, sich auf die Anlageklasse ETF zu konzentrieren. Finanzwesir-Blog: Was ist ein ETF?
6. Vom Notgroschen zum ETF-Weltvermögen
Klingt gut. Ist gut. Warnecke liefert komprimiert auf knapp 100 Seiten, wie Sie vom Notgroschen (ich spreche vom Sicherheitspuffer) zum funktionierenden ETF-Portfolio kommen. Schritt für Schritt zum Nachmachen und Mitdenken: ohne Beraterkosten, dafür mit sehr geringen Ausgabeaufschlägen oder sonstigen Fonds-Kosten.
Er geht auch darauf ein, wie Sie das mit kleinem Geld erreichen.
Warnecke lässt kaum eine Frage offen. Und wenn doch, google anschmeißen und weiterbilden.
Mein Fazit: Ein Buch mit vielen Stärken und kleinen Schwächen
Albert Warneckes Buch hält, was es verspricht: Es liefert das wirklich Wichtige zum Vermögensaufbau und damit einen gelungenen Einstieg ins Thema. Ein Einstieg zum Weiterbeschäftigen. Gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen.
Was mir besonders gefällt: Warnecke bezieht jederzeit mit Witz Stellung. Und er macht deutlich, wie er mit seinem Geld umgeht.
Die trockene Materie präsentiert er im Plauderton und lockert den Text zuverlässig mit Anekdoten auf. Warnecke schreibt auch nie: Sie sollten das und das tun. Sondern: So mache ich das.
Und: Er textet erfrischend deutlich: Niedrigzinsen sind kein Grund, an die Börse zu gehen. Dafür gibt es andere Gründe.
Ein weiteres Plus: Das Buch ist voller Anleitungen. Zum Beispiel: Wie fange ich das jetzt an mit dem Geld Anlegen; wie verwerfe ich qualifiziert mögliche Alternativen; wie wähle ich Fonds aus (welcher Art auch immer); richte ich einen ETF Sparplan ein oder kaufe ich selbst; und wie könnte meine Anlagestrategie aussehen?
Das Buch hat aber auch seine Schwächen. Ich hätte ihm ein strikteres Lektorat gewünscht. Hin und wieder fehlen Erklärungen mancher Fachworte. Einige Tabellen sind nicht gut nachzuvollziehen.
Und bei der Kapitel-Gliederung geht es thematisch etwas durcheinander und dadurch manches Wichtige unter. (Die zahlreichen Zahlendreher und Rechtschreibfehler der ersten Auflage sollen in der neuen behoben sein.) Auch fehlt ihm ein Finanzwesir-spezifisches Glossar.
Sie werden mit diesem Buch trotz seiner Stärken zwar (noch) keine Finanzexpertin in eigener Sache. Sie schlagen aber die ersten Kapitel dafür auf, wenn Sie es lesen!
Update, Nov. 2019: Neuauflage vom Finanzwesir
Albert Warnecke hat sein Buch überarbeitet und eine Neuauflage herausgebracht. Halten Sie danach Ausschau, nach der „2. überarbeiteten Neuauflage“ von 2019. In ihr hat Warnecke die erwähnten Schwächen getilgt. Das Buch hat an Übersicht gewonnen und damit weiter an Klarheit.
Bücher zum Weiterlesen
+ Gerd Kommer (DER Fachmann für ETFs‘): Souverän investieren mit Indexfonds und ETF (Campus-Verlag)
+ Shortlist der Beziehungs-Investoren: Die besten Finanzbücher
Sie wollen mehr Finanzwesir? Hier geht’s zum Blog. Zwar singt er nicht auch noch, aber er podcastet mit dem Finanzrocker Daniel Korth unter dem Titel „Der Finanzwesir rockt“.
Transparenzhinweis:
Das Buch hat mir Albert Warnecke geschenkt. Versehen mit einer Widmung. In meinen Buchtipps bespreche ich dennoch nur Bücher, deren Inhalt ich für relevant und nützlich halte. Und nicht, weil sei mir geschenkt wurden oder weil ich die Autoren so mag.
Das tut (meiner) der Welt gut, ein Stück Struktur über Finanzen die ich lesen und nachvollziehen kann. Es macht dadurch Mut sich dem Thema anzunehmen und öffnet die Tür zum Selbstbestimmten Umgang mit den Vermögensdingen ( wer hat uns eigentlich das „mögen“ verdrießt?)
Ich mag Ihren Internetauftritt und die Angebote, die sie hier anbieten. Ich mag Geld den es kann einiges bewegen, jetzt liegt es nur daran wohin es fließt, was dadurch bewegt wird.
Vielen Dank Theresia. Für das Kompliment und für Ihre Meinung.
Ein schöner Gedanke: Wer hat uns das „mögen“ verdrießt? Ich mag Geld auch. Heute. Aus den gleichen Gründen wie Sie: Wir können damit etwas bewegen. 🙂